Der Pflichtteil eines enterbten Kinds kann sich kürzen, wenn der erbende Geschwisterteil den Erblasser gepflegt und er dafür kein angemessenes Entgelt erhalten hat, §§ 2316, 2057a BGB. Der Erblasser kann die Berücksichtigung der Pflege in seinem Testament aber auch mit Wirkung zugunsten seiner enterbten Kinder einschränken oder ausschließen. Dann kürzt sich der Pflichtteil eines enterbten Kinds nicht um den Wert der Pflege. Beispielsfall: Die Erblasserin setzte in ihrem (notariell beurkundeten) Testament ein Kind als Alleinerben ein. Im Testament heißt es hierzu: „Zur Begründung weise ich darauf hin, dass mein Sohn … seit dem Jahr 2007 meine Pflege und Betreuung übernommen hat.“ Der BGH hat am 24.03.2021 (IV ZR 269/20) die Auslegung des Testaments gebilligt, dass die Erblasserin mit diesen Worten den Ausgleich der Pflege zulasten ihres allein erbenden Kinds und zugunsten ihrer enterbten Kinder ausgeschlossen hat. Denn nach dem Wortlaut des Testaments sollte die Pflege des erbenden Kinds durch dessen Alleinerbeinsetzung entgolten werden. Es sind Zweifel erlaubt, ob die Erblasserin in ihrem Testament tatsächlich ihren Alleinerben belasten und die ihm günstigen gesetzlichen Regelungen nach §§ 2316, 2057a BGB aufheben wollte. Aber im Testament der Erblasserin gab es keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Erblasserin den Pflichtteil ihrer anderen enterbten Kinder so gering als gesetzlich möglich halten wollte.
Fazit: In jedem Testament sollte vorsorglich geregelt werden, ob die Pflegeleistung eines Kinds nach gesetzlichen Vorgaben auszugleichen ist oder nicht, um eine streitige Testamentsauslegung zu vermeiden. Im vom BGH entschiedenen Fall hätte der Alleinerbe einen geringeren Pflichtteil zahlen müssen, wenn im Testament sinngemäß geschrieben worden wäre: „Klargestellt wird, dass die Rechte meines Alleinerben aus § 2057a BGB unberührt bleiben.“ Im Übrigen ist es empfehlenswert, dass das pflegende Kind schon zu Lebzeiten ein angemessenes Entgelt für seine Pflege erhält. Leider ist dies ein familiäres Tabuthema. Aber es ist wichtig, Nachteile zu Lasten des pflegenden Kinds zu vermeiden. Das gilt erst recht, weil die Bewertung der Pflege nach dem Tode des Erblassers nach § 2057a BGB streitanfällig ist.