Am vergangenen Freitag hat die Bundesjustizministerin den seit Wochen erwarteten Entwurf einer Reform des Pflicht-teilsrechts vorgestellt. Die Resonanz hierauf kann nur geteilt sein. Positiv ist, daß der Pflichtteil auch in Zukunft nicht zur Disposition steht, das entspricht der zwingenden Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts. Zu oft geschieht es nämlich, daß ältere Menschen in den letzten Tagen eines Lebens voll inniger Zuneigung zu den eigenen Kindern plötzlich deren vollständige Enterbung verfügen, z. B. zugunsten des Gärtners, Krankenpflegers oder der Zugehfrau. Inwieweit dabei vielleicht auch noch die Hand geführt wurde, kommt oft nicht ans Licht. Der Pflichtteil verschafft den Kindern (oder auch dem eigenen Ehegatten) einen Anteil am Vermögen des Verstorbenen, ein Anteil, der schon wegen jahrelanger Zuwendung und Fürsorge meistens verdient ist.
Positiv ist zudem, daß auch die Höhe des Pflichtteils unverändert bleiben soll (die Hälfte des Verkehrswerts – also des Marktwerts – des gesetzlichen Erbteils). Man kann es drehen und wenden wie man will: Letztlich sind alle anderen Pflichtteilsquoten mit guten Argumenten angreifbar.
Im übrigen aber verrät der Entwurf Praxisferne, zudem fördert er das Streitpotential. Zwar führt der Pflichtteil, der immer ein Geldanspruch ist, häufig dazu, daß Vermögen versilbert werden muß, um den Pflichtteilsanspruch erfüllen zu können. Dem versucht die Justiz-ministerin mit einer Stundungsregelung zu begegnen, der Pflichtteil muß also nicht sofort gezahlt werden. Warum aber soll sich der Pflichtteilsberechtigte eine Stundung seiner Ansprüche gefallen lassen, wenn doch der Erbe seinen Teil bereits mit dem letzten Atemzug des Verstorbenen erhält? Die Gefahr, daß der Erbe die Zeit nutzt, um das Vermögen zu verschieben oder zu verprassen, ist für den Pflichtteilsberechtigten unzumutbar. Realität ist im übrigen, daß Pflichtteilsberechtigte bereits heute oft über Monate oder gar Jahre auf ihr Geld warten müssen, vor allem, wenn der Zahlung lange Auskunfts- und Bewertungs-verfahren vorausgehen.
Mißlungen ist der Entwurf auch beim Thema Pflichtteilsentziehung. Falsch lag, wer sich eine Erweiterung der Testierfreiheit für diejenigen erhofft hatte, die mit ihren Kindern seit Jahrzehnten entzweit sind. Die von verschiedenen Seiten gleichermaßen ersehnte wie befürchtete Einführung eines Pflichtteilsentziehungsgrundes wegen „Verletzung der Familiensolidarität“ blieb aus. Man geht mit der Einschränkung der Testierfreiheit aber noch weiter: Im Gegensatz zum geltenden Recht soll sogar ein „ehrloser und unsittlicher Lebenswandel“ nicht mehr für einen Pflichtteilsentzug ausreichen. Man kann über die Begriffe „ehrlos“ und „unsittlich“ natürlich streiten, aber die Gerichte können sie im Einzelfall durchaus mit vernünftigem Sinn erfüllen. Der von der Bundesjustizministerin jetzt vorgesehene neue Pflichtteilsentziehungsgrund ist dagegen untauglich: Der Pflichtteil soll demjenigen entzogen werden können, der rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Eine solche Strafe wäre jedoch z. B. schon bei einem unglücklichen Autounfall möglich. Und andererseits: Benimmt sich ein Kind über viele Jahre hinweg frech und lieblos gegenüber seinen Eltern, kümmert sich nicht und redet schlecht über sie, dann könnte man ihm seinen Pflichtteil nicht nehmen (so in der Regel auch schon das geltende Recht). Die einjährige Freiheitsstrafe ist eine viel zu enge und zu formale Schablone, die Gerechtigkeit nicht schaffen wird.
Auch die Absicht der Bundesjustizministerin, solche Angehörige besserzustellen, die den Erblasser vor seinem Tod aufopferungsvoll gepflegt haben, zielt daneben. Übersehen wird dabei, daß es jedem Erblasser freisteht, pflegenden Angehörigen entweder lebzeitig oder durch einfachste Nachlaßplanung das verdiente Entgelt der Mühen zukommen zu lassen. Eine im Erbfall vorzunehmende pauschale Anrechnung eines Lohnes für Pflegeleistungen ist demgegenüber eine Bevormundung des Erblassers. Hier würde zudem das Tor zu Diskussionen darüber geöffnet, wer den Erblasser wann und wie oft besucht hat und ob die aufopferungsvollen Pflegeleistungen nicht in Wirklichkeit völlig wertlos waren.
Schließlich ist geplant, das sogenannte Pflichtteilsergänzungsrecht zu ändern. Bemessungs-grundlage für den Pflichtteil ist nicht nur das Vermögen, welches dem Verstorbenen bei seinem Tod noch gehörte, sondern auch das, welches er in den letzten zehn Jahren vor seinem Tod verschenkt hat, so schon im Grundsatz das geltende Recht. Diese Schenkungen sollen jedoch künftig desto niedriger bewertet werden je länger eine Schenkung zurückliegt. Aber auch dies wird nur mehr Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen, denn wenn bisher über das Ob und den Wert einer Schenkung gestritten wurde, dann in Zukunft auch noch über das Wann.